Die Waldenser
Der Name „Waldenser“ stammt aus dem Mittelalter. Die katholische Kirche bezeichnete so die Anhänger von Valdes aus Lyon, der um 1173 eine Bewegung von Wanderpredigern gegründet hatte.
Valdes, seit 1350 „Petrus Waldus“ genannt, war ein wohlhabender Bürger aus Lyon. Da er selbst die lateinische Bibel nicht lesen konnte, ließ er sie im Jahre 1173 in die Volkssprache übersetzen. Daraufhin gab er seinen Besitz den Armen und begann öffentlich zu predigen. Bald sammelte er einen Kreis von Männern und Frauen um sich.
Waldenserkirche
Im Jahr 1532 schlossen sich die letzten Wanderprediger und ihre Anhänger der Reformation an und gründeten eine reformierte Kirche in den Cottischen Alpen. Ihre Mitglieder gaben sich jetzt selbst den Namen „Waldenser“. Sie waren davon überzeugt, dass ihre Vorfahren schon lange vor der Reformation evangelische Christen gewesen waren.
Heute besteht die reformierte Waldenserkirche in Italien und in Südamerika.
Die Waldenser in Deutschland
A. Einleitung
Pinache, Perouse, Großvillars, Walldorf, Rohrbach, Waldensberg, Charlottenberg - das sind die Namen einiger kleiner Dörfer in Baden-Württemberg und Hessen, hinter dem sich eine besondere Geschichte verbirgt: Eine Geschichte von Verfolgung, Vertreibung und Flucht. Aber auch: von Glaube und Hoffnung, Neubeginn und Beharrlichkeit.
Die Geschichte der Waldenser.
B. Die Waldenser im Mittelalter
Die Wurzeln der Waldenser reichen bis ins Hochmittelalter.
Es war im Lyon des 12. Jahrhunderts, als ein reicher Kaufmann mit dem Namen Valdes radikal mit seinem bisherigen Leben brach. Er hatte die Evangelien in die Volkssprache übersetzen lassen und wollte fortan wie ein »Jünger Christi« leben. Sein gesamtes Vermögen verteilte er an Arme und zog predigend durch die Straßen.
Es war ein gefährlicher Entschluss: Der katholischen Kirche waren solche Wanderprediger ein Dorn im Auge. Kein Laie durfte sich anmaßen, ohne bischöfliche Genehmigung zu predigen. Und so kam das Unausweichliche: Im Jahre 1184 wurden die Waldenser als Ketzer verurteilt. Von nun an mussten sie um ihr Leben fürchten. Damit waren ihre Wanderprediger gezwungen, ihrer Mission versteckt und im Untergrund nachzugehen.
Dennoch breitete sich die Waldenserbewegung im Laufe des 13. Jahrhunderts in ganz Europa aus. Ihre Botschaft war im Grunde ganz einfach: Halte dich an die Bergpredigt!
Die Kirche antwortete darauf mit der Inquisition. Sie verfolgte die Waldenser und rottete sie beinahe vollständig aus.
Nur in wenigen Gebieten überlebten die Waldenser die Verfolgungen.
Ihr wichtigstes Zentrum waren schwer zugängliche Bergtäler in den Cottischen Alpen: das Grenzgebiet zwischen Frankreich und dem Herzogtum Savoyen-Piemont.
Die Wanderprediger waren einheimische Bauernsöhne, die im alpenprovenzalischen Dialekt der Bevölkerung sprachen und predigten. In diesem Grenzgebiet fanden die Wanderprediger einen sicheren Rückzugsraum. Von hier aus zogen waldensische Siedler nach Südfrankreich ins Luberon und nach Kalabrien in Süditalien. So gab es Ende des Mittelalters nur noch Waldenser in den Cottischen Alpen, im Luberon und in Kalabrien.
C. Die Waldenser in der Reformation
1520 brach Martin Luther öffentlich mit dem Papst. Das hinterließ tiefen Eindruck in ganz Europa. Überall machten sich nun Menschen daran, die Kirche zu reformieren: Sie sollte nicht länger dem Papst untergeordnet sein, sondern sich nur nach der Bibel richten. Das sprach den Waldensern aus dem Herzen.
So schlossen sich 1532 auch die Waldenser der Reformation an. Seit 1555 errichteten sie sogar eigene Kirchengemeinden in den Cottischen Alpen; gepredigt wurde auf französisch und italienisch. Dabei erhielten sie Unterstützung von der Stadt Genf, die sich mit Johannes Calvin zu einer protestantischen Hochburg entwickelt hatte. Calvin sah in den Waldensern eine Brücke der Reformation nach Italien.
Allerdings blieben die Waldensergemeinden nur kleine protestantische Inseln innerhalb der katholischen Welt. Und diese reagierte mit Gewalt: 1545 wurde die Waldenserbewegung im Luberon komplett vernichtet. 1561 geschah dasselbe in Kalabrien.
In diesem Jahr wurden auch die Waldenser im Piemont mit Gewalt bedroht. Sie erhielten jedoch bewaffnete Unterstützung von ihren französischen Glaubensgeschwistern jenseits der Grenze. Der Herzog von Savoyen musste schließlich nachgeben und ihnen gestatten, ihren calvinistisch-reformierten Gottesdienst öffentlich auszuüben. Ein Recht, das im Vertrag von Cavour besiegelt wurde.
Heute gehören die Waldenser, wie auch die Hugenotten, zu den calvinistisch-reformierten Kirchen Europas. Während die Hugenotten der Reformation in Frankreich entstammen, reichen die Wurzeln der Waldenser bis ins Mittelalter. Sie sehen sich als Protestanten vor der Reformation.
D. Die piemontesischen Waldenser nach 1561.
Trotz des Vertrags von Cavour versuchte der Herzog von Savoyen immer wieder, die Waldenser unter Zwang zu rekatholisieren – aber vergeblich. Mit französischer Hilfe gelang es ihm schließlich 1686, die Waldenser zu unterwerfen. Alle, die sich weigerten, katholisch zu werden, wurden ausgewiesen.
Einige hundert von ihnen kehrten jedoch im August 1689 heimlich aus dem Exil zurück ins Piemont. Einer ihrer Anführer war der Pfarrer Henri Arnaud. Diese sogenannte »Glorreiche Rückkehr« war der Beginn eines heftigen Guerillakrieges in den Bergtälern. Doch die politische Entwicklung in Europa kam den Waldensern zu Hilfe: Protestantische Großmächte wie England und die Niederlande griffen ein und übten so starken Druck auf den Herzog von Savoyen aus, dass er die Rechte der Waldenser 1690 wieder offiziell anerkennen musste.
Natürlich war damit die alltägliche Diskriminierung noch lange nicht beendet. Es sollten noch fast 150 Jahre vergehen, bis die Waldenser schließlich im Jahr 1848 ihre bürgerliche Freiheit erlangten. Nun war es möglich, in ganz Italien Gemeinden zu gründen. Die Migration reichte bis Nord- und Südamerika, wo ebenfalls viele Gemeinden entstanden. Bis zum heutigen Tag besteht die Waldenserkirche und hat allein in Italien rund 21.000 konfirmierte Mitglieder.
E. Die Waldenser im französischen Dauphiné.
Es ging den französischen Waldensern lange Zeit wesentlich besser als ihren verfolgten Glaubensgeschwistern im Piemont. Das Edikt von Nantes gewährte ihnen seit 1598 das Recht, ihren reformierten Gottesdienst auszuüben. Von blutigen Verfolgungen blieben sie zunächst verschont. Aber auch ihre Freiheit währte nicht ewig: Der Sonnenkönig Ludwig XIV. verbot 1685 den reformierten Glauben in Frankreich. Alle Waldenserkirchen im Chisonetal wurden nun abgerissen oder katholisiert.
Mehr als tausend französischeWaldenser zogen daraufhin nach Deutschland in die Landgrafschaft Hessen-Kassel. Ein Teil der Flüchtlinge fand bei Hofgeismar und Marburg dauerhaft eine neue Heimat.
Die meisten Waldenser aus dem französischen Chisonetal suchten jedoch nach 1690 Zuflucht in den benachbarten piemontesischen Tälern, wo die reformierte Kirche inzwischen wieder geduldet war. Aber keine 10 Jahre später, im Jahr 1698, wurden sie von dort wieder vertrieben: Ludwig XIV. wollte die Anwesenheit seiner abtrünnigen Untertanen im benachbarten Piemont nicht dulden. Er brachte den Herzog von Savoyen dazu, alle Waldenser aus dem Piemont auszuweisen, die als Franzosen geboren waren. Es handelte sich dabei um fast 3000 Personen.
F. Der Weg nach Deutschland.
Hessen und Württemberg im Jahre 1699: Der Dreißgjährige Krieg hatte die Bevölkerung dramatisch ausgedünnt, und viele Felder lagen noch immer brach. Hier sollten die 3000 Vertriebenen angesiedelt werden, denn die meisten von ihnen waren Bauern.
Die Waldenser aus dem unteren Chisonetal im Piemont wurden Württemberg zugewiesen. Noch heute zeugen die Ortsnamen wie Pinache, Serres, Perouse, Groß-und Kleinvillars von ihrer Herkunft.
Die Waldenser aus dem oberen Chisonetal, dem französischen Teil, wurden in Südhessen angesiedelt. Sie errichteten Kolonien wie Walldorf, Rohrbach-Wembach-Hahn, Dornholzhausen, Charlottenberg und Waldensberg. Die Lebensbedingungen dort waren allerdings so schlecht, dass die meisten von ihnen bald ebenfalls in Württemberg ihr Glück suchten. Dazu gehörten die Gründer von Nordhausen, Palmbach und Neuhengstett.
Henri Arnaud wurde zum geistlichen Leiter der Waldenser in Württemberg. 1702 gründete er den Ort Schönenberg. Dort wollte er Maulbeerbäume pflanzen und Seidenraupen züchten. Ob er auch als erster die Kartoffel in Württemberg anbaute, bleibt allerdings ungewiss.
Doch auch in Württemberg war das Leben für die vertriebenen Kleinbauern sehr hart: Als Zuwanderer bekamen sie die schlechtesten Böden zugewiesen. Die Wasserversorgung war unzureichend. Oft gab es Spannungen mit den deutschen Nachbarn, von denen sie als „Welschen“ beschimpft wurden. Diese Umstände führten immer wieder zu weiteren Auswanderungen. So gründeten einige württembergische Waldenser 1722 die Orte Gottstreu und Gewissenruh in Nordhessen.
G. Die Waldenser in Deutschland heute
Die neue Heimat bot den Waldensern nicht nur Sicherheit und Religionsfreiheit, sie führte auch dazu, dass die Waldenser sich allmählich ihrer Umgebung anpassten. Die calvinistisch-reformierten Waldensergemeinden in Württemberg wurden 1823 in die lutherische Landeskirche integriert. Fortan mussten sie ihre Gottesdienste in der deutschen Sprache abhalten. Ihr eigentlicher Dialekt, Alpenprovenzalisch, verschwand gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die deutschen Waldenser verloren damit ihre ursprüngliche Identität.
Einige Waldenser versuchten jedoch, die Erinnerung an ihre Herkunft und Vergangenheit zu bewahren. Dabei wurden sie von den »deutschen« lutherischen Pfarrern in den Waldensergemeinden unterstützt. Das führte 1936 zur Gründung der Deutschen Waldenservereinigung. Ihr Sitz ist im ehemaligen Pfarrhaus von Henri Arnaud in Schönenberg. Neben der Pflege der Vergangenheit möchte die Vereinigung heute auch die Beziehungen zu den Waldensern in Italien und in Südamerika vertiefen.
H. Das Waldenserwappen.
»Das Licht leuchtet in der Finsternis« – „Lux lucet in tenebris“. Seit ungefähr 1640 wurden diese Worte aus dem Johannesevangelium zum Sinnbild und zum Wappen der Waldenser. Wohl nur mit einem solchen Leitgedanken war es den Waldensern möglich, Jahrhunderte der Verfolgung und Unterdrückung zu überleben und als kleine Minderheitskirche bestehen zu bleiben.
Um den Leuchter sind sieben Sterne zu sehen. Diese erinnern an die sieben Gemeinden aus dem biblischen Buch der Offenbarungen; Gemeinden, die trotz aller Bedrängnis dem Evangelium treubleiben. Das Wappen verdeutlicht, wie eng sich die Waldenser auf die Heilige Schrift beziehen.
Das Waldensertum war von Anfang an eine religiöse Bewegung. Den Waldensern war es immer wichtig, dem Evangelium treu zu folgen. Sie wollten weder Macht noch Gewalt ausüben. Gottes Liebe zu den Menschen wollten sie mit Wort und Tat bezeugen.
Bis heute sind für alle Waldenser zwei Dinge von höchster Bedeutung:
die persönliche Verantwortung für die Gemeinschaft – und Religionsfreiheit.